SRS-Podium am Ironman Thun: «Was kommt nach dem Peak?» (mit Video)

Ironman Switzerland Thun: Ein Wochenende lang war Thun Drehpunkt der Tria-Szene. Bestes Wetter, begeisterte Athleten, gute Party im und ums Ironman Village, wo sich Athleten, Betreuer, Familien, Freunde und interessiertes Publikum treffen.
Am Vortag des Ironmans ist die Zielgerade noch leer. Es ist 14 Uhr. Viele Athleten haben ihr Wettkampf-Package schon geholt, ihre Sachen sortiert, das Velo und die Race-Bags in die Wechselzone gebracht. Die Bags hängen parat für morgen, die Athleten hängen noch etwas im Village herum. Auf die Bühne klettert eine kleine Gruppe mit SRS-Leuten und den offiziellen Ironman-Speakern.

Es steht auf der Bühne auch eines der wenigen Vater-Sohn-Duos im Ironman-Zirkus: Beat und Raphael Schertenleib aus Heimberg bei Thun. Sie haben sich monatelang für den 10. Juli in Thun vorbereitet. Und sie haben ein noch grösseres Ziel: DEN Ironman, also den in Kona/Hawaii, gemeinsam zu absolvieren. Ihre Qualifikation haben sie schon in der Tasche.
Die Vorfreude für Sohn Raphael wurde kürzlich etwas gebremst. Denn für seinen Vater Beat wurde ziemlich alles gebremst. Er stand in Thun mit Krücken auf der Bühne: Oberschenkelfraktur bei einem Trainingssturz! «Es schmerzt viel mehr, morgen nicht teilnehmen zu können, als die Schmerzen durch die Verletzung», sagt Beat.
Ob er es trotzem im Oktober nach Hawaii schafft? Mit disziplinierter Physio, Aqua-Gym und mehr werde er alles daran setzen, dabei zu sein. Der internationale Ironman-Speaker Paul Kaye: «I believe you will be there.»

VOR dem Wettkampf

Die Diskussion auf dem Podium bewegte sich durch Phasen eines Athleten (egal ob Ironman oder in einer anderen Sportart): Die Zeit vor, während und nach einem Wettkampf.

Andrea Jenzer ist Psychologin im Sport, Koordinatorin des SRS-Sportmentorings und Leiterin/Dozentin der Sport-Mentoren-Ausbildung von SRS. Sie sagt zur Nervosität vor dem Wettkampf: «Die gehört dazu. Ich kann sie nicht verhindern, ich soll sie wahrnehmen. Als nächstes aber zum Beispiel bewusst entspannen, sich ablenken indem man zum Beispiel mit Freunden in ein Café geht, spazieren, bewusst relaxen.»
Was ist mit hohem Druck vor dem Wettkampf, vielleicht durch Erwartungen, Sponsoren, die Fans? «Druck ist ja sowieso da, es ist ja ein Wettkampf. Ich kann mir aber die Frage stellen: Gebe ich mir selber noch mehr Druck? Ist mein Ziel vielleicht zu hoch? Kommt Angst ins Spiel? Was gebe ich selber noch obendrauf?»
In wenigen Minuten auf einem Podium lassen sich natürlich nicht tiefgreifende sportpsychologische Analysen durchführen, schon nur deshalb nicht, weil dies ja eine sehr individuelle Sache ist. Andrea Jenzer meint aber zu Druck/Angst: «Versuche, es ein wenig zu relativieren. Ist es wirklich wegen dieses einen Wettkampfes, wegen dieses einen Resultats so, dass dich deine Freunde mögen und du respektiert wirst?»
Paul Kaye, selber auch «Ironman», meint: «Embrace it. Channel it. Ohne Druck keine Diamanten – Druck bildet Charakter. Druck, Emotionen, Hormone – das ist Leben!»

Wie sieht es IM Wettkampf aus?

«Wenn zwei physisch gleich starke Athleten sich duellieren, wird der mental stärkere gewinnen», soweit die erste Feststellung, für alle ziemlich unbestritten. Wie wird man aber «mental stärker? Paul Kaye: «Das Mentale kann trainiert werden. Das ist es, was Mentaltrainer wie Andrea Jenzer ja machen: einen in diesem Training anleiten.»
Wie bereitet sich Spitzentriathlet Raphael Schertenleib mental auf den Ironman vor? «Ich teile das Rennen in Abschnitte ein und versuche immer, im Hier-und-Jetzt zu sein. Wenn zum Beispiel das Schwimmen nicht so gut lief, darf ich gedanklich nicht dort hängen bleiben. Fokus aufs Jetzt! Wobei ich schon auch plane – zum Beispiel, dass ich mich zwinge, die erste Radrunde nicht zu schnell zu fahren.»
Sein Vater Beat Schertenleib sagt: «Ich habe einen strikten, ziemlich sturen Plan, wie ich zum Beispiel esse während des Wettkampfs, ob ich nun grad Lust habe oder nicht. Auch regelmässig Elektrolyte einnehmen ist wichtig, besonders bei heissem Wetter. Und im Training, wenn man keine Lust hat, grad mieses Wetter ist oder so: Keine Ausrede – die Trainingseinheit muss sein, also mache ich sie auch.»
Paul Kaye fasst zusammen: «Seine Stärken kennen! Raphael hat vorhin gesagt, im Lauf sei er gut, sich also mit solchem Wissen mental stärken. Und natürlich Erfahrung! Die muss man sich eben holen.» 
Was, wenns trotzdem schief läuft? Andrea Jenzer bestätigt, dass es einen Plan B braucht. «Wir reden in der Sportpsychologie von WENN-DANN. Im Grossen oder Kleinen. Dazu sollte man sich vor dem Wettkampf, vielleicht auch vor einer Saison, Gedanken machen.»
Paul Kaye sagt grinsend: «Ich hatte am Ironman jeweils drei Pläne: Plan A ist finishen. Plan B ist lächeln können auf der Ziellinie für die Fotografen. Plan C wäre noch, die eigene geplante Schlusszeit zu erreichen…»

Und NACH dem Wettkampf? Das grosse Loch?

Nein, das Podium war sich einig, dass dieses Loch nicht kommen muss. Es kann aber. Raphael: «Wenn das Rennen gut lief, dann schwebt man noch länger durch die Tage. Wenn nicht, dann kann schon ein Loch kommen, ein Frust. Es braucht dann eine gute Analyse. Positives mitnehmen und vorwärts schauen aufs nächste Rennen.»
Andrea Jenzer: «In der Psychologie stellt man fest: Je mehr ich mich ausschliesslich auf 1 Leistung, 1 Moment konzentriere, desto höher das Risiko, eben in dieses «Loch» zu fallen. Wenn der Peak sehr hoch ist und mit Erfolg, oder Misserfolg, hinter sich gebracht wurde, dann – muss nicht, aber kann – ein Loch folgen, zum Beispiel eine soziale Leere.»
Was erhöht bei Raphael die Chance, eher nicht ins Leere zu fallen? «Mein Vater, ich auch – wir finden Halt im Glauben an den Gott der Bibel. Das hilft uns, gelöst zu sein, unabhängig. Es ist ist da ein Friede, der über der Leistung an einem Wettkampf steht. Ich weiss, es gibt einen guten Plan über meinem Leben. Meine Identität habe ich zuerst mal in Gott, meinem Schöpfer, ganz egal, wie ich mich grad fühle, ob ich nun top Leistung liefere oder nicht.»

Andrea Jenzer zum Schluss des Podiums: «Was nach dem Peak kommt, solltest du dir idealerweise vorher überlegen. Das kann vieles sein. Eine persönliche Sprititualität, Familie, Freunde, sonstige Pläne, etwas Neues anpacken, eine bewusst Alltagsstruktur – das alles hilft, dass es nach dem Peak gut weitergeht.»