«Salat und Gemüse in möglichst unterschiedlichen Farben essen!»
Cornelia Walther ist verheiratet mit Michael, Mutter von Yael (2) und Ernährungsberaterin BSc BFH. Sie weiss, was Ganzheitlichkeit in der Ernährung heisst und nimmt uns mit – ins Kopfhirn und Darmhirn.

SRS Time-Out: Cornelia, du warst soeben mit deinem Mann auf einer Ski-Tour. Was hast du da gegessen?
Cornelia Walther: Ähm… wir sind in einen Hungerast gelaufen, weil wir kaum etwas dabei hatten 🙂 ! Dafür war die Vorfreude auf die «Beiz» umso grösser.
Vielen ist ja die «Ernährungspyramide» geläufig und «möglichst ausgewogen essen». Gibts heute einen neuen Stand des Wissens?
Die Pyramyde gilt weiterhin, aber es gehört mehr dazu – eben eine gewisse Ganzheitlichkeit. Das Geniessen, in Gesellschaft essen, sich genügend Zeit nehmen. Es ist auch immer individuell – die Pyramide ist eine generelle Vorlage, aber jeder Körper funktioniert anders.
Welche Themen sind neu?
Es gibt globale Empfehlungen, u.a. aus der Klimadebatte: «Was macht den Menschen gesund, aber auch die Umwelt?». Zum Beispiel der Fleischkonsum sollte abnehmen. Statistisch gesehen könnten wir in der Schweiz auch halb so viel Fleisch essen und könnten den Bedarf an Eisen, Zink und Vitamin B12 noch immer abdecken. Das Angebot an Fleischersatzprodukten wächst ja auch. Es braucht – je nach Produkt – keine grosse Koch-Umstellung.
Im Bereich Ernährung gibt es seit ein paar Jahren viele Bücher zum Thema Darm. Was hat es damit auf sich?
Da geht es um das Darm-Mikrobiom. Es sind die Mikroorganismen im Darm. Die sind wie ein Fingerabdruck, bei jedem Menschen einzigartig. Von diesen Kleinst-Lebewesen, zum Beispiel Bakterien und Pilze, tragen wir rund zwei Kilo im Darm herum.
Warum sind diese so wichtig?
Man weiss heute: Gesund ist es, möglichst vielseitige Mikroorganismen in sich zu tragen. Das wird in den ersten drei Lebensjahren am stärksten entwickelt, danach weniger. Schon bei Geburt gehts los, mit Bakterien der Mutter. Dann beim Stillen mit Milchsäurebakterien – ein guter Anfang. Das Darm-Mikrobiom hat viele wichtige Aufgaben: Es regulatiert die Verdauung, schützt vor Krankheitskeimen, steuert die Entwicklung des Immunsystems, produziert Botenstoffe («Glückshormone») und Vitamine sowie Mineralstoffe.
Kann man dieses Mikrobiom steuern?
Es wird beeinflusst von der Ernährung, vom Lebensstil, der Umwelt und der persönlichen Hygiene. Zu beachten sind auch Medikamente, insbesondere Antibiotika. Die sind ja einerseits hilfreich, andererseits töten sie aber gute Bakterien, was zu einem Ungleichgewicht im Darm-Mikrobiom führt.
Der Darm ist also nicht einfach «ein Organ», sondern etwas sehr Ganzheitliches. Der Darm und das Hirn seien eng verbunden — wie genau?
Im ganzen Magen-Darm-Trakt gibts ein ein Nervengeflecht, das enterische Nervensystem. Man kann es auch «Bauchhirn» nennen. Diese Nerven sind mit den Hirn-Nerven verbunden. Hirn und Darmhirn sprechen die gleiche Sprache, sie verstehen sich besonders gut.
Was besprechen die denn so?
Die Forschung ist hier erst am Anfang. Das Darmhirn entlastet zum Beispiel das Kopfhirn. Wenn man gestresst ist, kostet das viel Energie, der Kopf arbeitet hart, braucht Energie. Das Darmhirn ist so nett und verbraucht dann «seine» Energie ganz sparsam. Das kann heissen, dass man, vor einem Vortrag oder einer Prüfung oder einem Wettkampf, etwas verstopft ist oder Durchfall hat oder Blähungen – der Darm arbeitet auf Minimum. Man kann das nicht steuern, es ist auch nicht schlimm. Es zeigt einfach, dass unser Körper ganzheitlich agiert. In einer entspannten Zeit, etwa in den Ferien, kann man auch mal beobachten, wie es der Verdauung dann geht.
Was ist, wenn die Leitung Hirn–Darmhirn nicht richtig funktioniert?
Störungen führen dann eben ins Ungleichgewicht. Bei übergewichtigen Personen kann es sein, dass das Hirn die Botschaft «ich bin satt» nicht mehr versteht. Da ist man in der Forschung aber erst noch dran, herauszufinden, was wovon beeinflusst wird.
Wie kann ich meinem Darm-Mikrobiom Gutes tun?
Eine grosse Vielfalt an Bakterien scheint die Gesundheit zu fördern. Möglichst viele pflanzliche Nahrungsmittel essen, viel Verschiedenes! Früchte, Vollkornprodukte, Nüsse, Gemüse, Salat in möglichst unterschiedlichen Farben. Da stecken viele verschiedene Nahrungsfasern drin. Die kommen «unverdaut» in den Dickdarm, wo die Bakterien sie geniessen. Auch probiotische Produkte sind gut: Zum Beispiel Joghurt, gewisse Käsesorten, Sauerkraut.
Viel Grünzeug, aber farbig, ist also ganzheitliches Essen…
Ganzheitliche Ernährung bedeutet für mich, dass die Ernährung vielseitig, abwechslungsreich, individuell und ohne Verbote sein soll. Im Wissen, dass die Ernährung wichtig für unsere Gesundheit ist, aber sie ist nicht alles. Es gibt noch andere Faktoren wie Bewegung, Genetik und mehr, welche die Gesundheit und unser Wohlergehen beeinflussen.
Sein Essen bestmöglich zusammenstellen ist also nur eine Seite?
Ja, eben: Ganzheitlichkeit ist gut! Zu sich schauen, machen was einem gut tut, auch essen was einem gut tut. Sich nicht fixieren auf «was ist schlecht». Einzelne Lebensmittel sind nicht «gut» oder «schlecht». Wir dürfen wieder mehr lernen, ganzheitlich zu unserem Körper, zu uns als Person zu schauen.
Merci, Cornelia, für diese interessanten Einblicke!
(Interview: Tom Mayer)
Mehr z.B. bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung